Busfahren III: 1500 km ohne Anfang und Ende.

27 10 2009

Meine erste Reise ins Land. Fast 1500 km in den Süden, 18 Stunden Busfahrt! Ich bin total gespannt, was vom Land zu sehen, ein Gefühl für seine Größe zu bekommen. 18 Stunden Fahrtzeit heißt in Europa den halben Kontinent zu durchqueren, von Deutschland aus wäre ich nach 1500 km längst in Rom, hier habe ich nicht mal das halbe Land geschafft. Alles, was bis 500km im Umkreis von Buenos Aires liegt, gilt hier als „in der Nähe“. Man hat keine Vorstellung von der Größe!

1500 km von Buenos Aires

1500 km von Buenos Aires

Wir fahren mit einem halbleeren zweistöckigen Reisebus, über Nacht, Semi-cama, Halbbett. Abfahrt pünktlich um 20.45 an Retiro Busbahnhof. Wir haben die Plätze oben ganz vorne an der Scheibe. Catering an Bord ist inbegriffen, ein wenig appetitlich pappiges Milanesa (Schnitzel), zum Nachtisch eine undefinierbare glibbrige Paste, alles in Plastik eingeschweißt. Der freundliche Steward ist aber sehr bemüht, spricht euphemistisch von cena, Abendessen (was in meinen Ohren so wie Dinner klingt), und animiert den ganzen Bus zum Bingo spielen. Er verliest die Zahlen übers Mikrofon. Der glückliche Gewinner, der zuerst „Bingo Andesmar!“ ruft (Andesmar ist der Name der Busgesellschaft), bekommt eine Flasche Wein aus Mendoza. Ein bisschen komme ich mir vor wie in „Club Las Piranhas“. Im Fernsehen laufen zum Frühstück 80erJahre Musikvideo-Medleys.

La cena

Draußen zieht die Landschaft an uns vorbei. Stunden um Stunden Nichts. Eine unendlich erscheinende Straße, drumherum Nichts. Nur Steppe. Tausende Kilometer, nach rechts und links ewig flaches Land, trocken, karg, kleine Büsche, soweit das Auge reicht. Die Nacht in der Steppe ist schwarz und schwer und die unzählbaren Sterne hängen so tief, dass sie fast den Horizont berühren.

Es ist unbeschreibbar, man hat das Gefühl im vollen Nichts zu sein. Wie viel dieses Landes wohl einfach so aussieht wie diese Steppe, so leer und so weit. Irgendwie ist diese Weite aber dann doch beklemmend, man ist sie nicht gewöhnt, man lebt im Rhythmus der Städte, dem scheinbaren Pulsschlag der Welt. Und ein Ort, der stattdessen aus so viel Nichts besteht, verwirrt mich. Und zum ersten Mal habe ich angesichts dieser unendlichen Weite das komische Gefühl nicht mehr zu wissen, wo Anfang und wo Ende ist. In der Stadt merkt man davon nichts, weil das Drumherum an Bedeutung verliert, hier jedoch werden die kleinen Städte von ihrer mächtigen Umgebung verschluckt. Man kann ewig und ewig fahren und es passiert nichts, vielleicht kommt mal alle paar hundert Kilometer eine kleine Stadt, aber drumherum ist wieder nichts. Und auf der Durchfahrt verliere ich das Gefühl der Mitte, was man in der Stadt hat, auf einmal wird alles nur zu einem Punkt im Nichts. Wo beginnt alles? In Buenos Aires? In Europa? Auch wenn man durch Buenos Aires durchfährt, liegt auf der anderen Seite wieder Nichts, aber man pflegt es zu vergessen, wenn man drin ist. In Europa kommt man vor lauter Dicht-Besiedlung gar nicht mehr auf diesen Gedanken, aber aus dem Nichts betrachtet, ist auch das Dort eben nur ein Punkt im Nichts, der weder Anfang noch Ende noch Mitte ist.

Wir machen den Weg frei. Ins Nichts.

Wir machen den Weg frei. Ins Nichts.

Vormittags halten wir in einer, naja, einer kleinen Stadt, sie erinnert an eine amerikanische Vorstadt, eine Filmkulisse fast, nur dass alles unter einer Staubhülle liegt. Die Häuser sind an der Straße aufgereiht, wie Perlen an einer Schnur. Überall Sand, Staub. Wir steigen aus, was für eine Wohltat nach so vielen Stunden im Bus und es ist unglaublich: Wind! Man fühlt sich, als würde der Wind durch einen durchwehen, einen frei machen von dem ganzen Stress der Stadt. Die Luft ist so unglaublich frisch, nicht kalt, einfach frisch, neu. In Buenos Aires, ganz im Gegensatz zu dem, was der Name vermuten lassen könnte, gibt es ganz bestimmt keine gute Luft, und vor allem keine neue. Es weht kein Wind. Die Luft fühlt sich an wie alt, abgestanden, eine Dunstglocke, keine Zirkulation. Das fällt mir jetzt auf, nachdem ich zum ersten Mal seit langem frische Luft atme.

Nach nur 5 Minuten setzen wir unsere Fahrt fort nach Puerto Madryn, dem Ziel unserer Reise.